Alle vier Jahre können Beschäftigte ihre Arbeitnehmervertretung neu bestimmen. Die nächste turnusgemäße Betriebsratswahl findet von März bis Ende Mai 2022 statt. In vielen Unternehmen laufen bereits die Vorbereitungen: Amtierende Betriebsräte setzen einen Wahlvorstand ein, der den anstehenden Urnengang organisiert. Selbst wenn manchem Firmeninhaber oder mancher Firmeninhaberin die betriebliche Mitbestimmung lästig ist – der Gesetzgeber verpflichtet sie zur Kooperation. Sie dürfen die Betriebsratswahl keinesfalls behindern und müssen dem Wahlvorstand die nötigen Informationen zu den Wahlberechtigten in der Belegschaft aushändigen. Unternehmen haben außerdem Betriebsmittel und Räume zur Verfügungzu stellen, damit eine ordnungsgemäße Betriebsratswahl stattfinden kann. Mitgliedern des Wahlvorstands sind Schulungen zu ermöglichen. Die Kosten der Betriebsratswahl trägt das Unternehmen. Für den diesjährigen Urnengang gelten erstmals geänderte Regeln. Die Große Koalition verabschiedete im Juni 2021 das Betriebsrätemodernisierungsgesetz und überarbeitete die dazu gehörige Wahlordnung. Das Ziel: Betriebsratswahlen im Allgemeinen sowie die Neugründung von Betriebsräten im Besonderen zu erleichtern und die betriebliche Mitbestimmung zu stärken.
Wichtige Änderungen im Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Die Große Koalition hat das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt. Bei der diesjährigen Betriebsratswahl dürfen also erstmals viele Auszubildende abstimmen. Dies beeinflusst die Größe der Arbeitnehmervertretung und ihr Mitbestimmungsrecht. In mittleren Unternehmen lässt sich eine Betriebsratswahl außerdem schneller und leichter abhalten: Das vereinfachte Wahlverfahren gilt erstmals auch für Betriebe mit bis zu 100 Beschäftigten. Es lässt sich sogar in Unternehmen mit bis zu 200 wahlberechtigten Beschäftigten anwenden, falls Wahlvorstand und Arbeitgeber sich darauf einigen. Der Vorteil: Dann sind bei der Betriebsratswahl weniger Formalien einzuhalten und es gelten kürzere Fristen. Der Wahlvorstand beispielsweise muss erst vier Wochen vor Ablauf der Amtszeit des alten Betriebsrats bestellt sein. Im normalen Wahlverfahren gilt eine Zehn-Wochen-Frist. Auch die Einspruchsfristen wurden deutlich verkürzt. Der Gesetzgeber erweiterte außerdem den Kündigungsschutz auf Beschäftigte, die eine Betriebsratswahl vorbereiten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plant, das Strafrecht weiter zu verschärfen und härter gegen Unternehmen vorzugehen, die eine Betriebsratswahl oder -gründung torpedieren.
Wer bei der Betriebsratswahl antreten und wählen darf
Die diesjährige Betriebsratswahl kann die betriebliche Mitbestimmung in den Unternehmen stärken. Denn durch die Absenkung des Wahlalters wächst nicht nur der Kreis der Wahlberechtigten, sondern auch der Betriebsrat selbst. Dessen Größe ergibt sich nämlich aus der Anzahl der Beschäftigten, die abstimmen dürfen. Weil dazu jetzt auch Auszubildende ab 16 Jahren zählen, dürfte in manchen Kleinbetrieben erstmals eine Betriebsratswahl möglich sein. Neugründungen sind dabei nicht an den vierjährigen Wahlturnus gebunden. Eine solche Betriebsratswahl kann jederzeit stattfinden. Generell gilt: Bei Unternehmen mit fünf bis 20 Beschäftigten besteht die Arbeitnehmervertretung nur aus einer Person. Stehen bis zu 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Gehaltsliste, sind bereits drei Betriebsratsmitglieder zu wählen. Fünf Betriebsräte sind in Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten vorgesehen, dann folgen noch weitere Größenklassen. Kandidieren können alle Volljährigen, die seit mindestens sechs Monaten in der Firma arbeiten. Nur leitende Angestellte dürfen nicht teilnehmen. Wahlberechtigt und wählbar sind laut Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) auch
- geringfügig Beschäftigte, Aushilfen und Teilzeitkräfte wie Mini- oder Midijobber,
- Außendienstmitarbeiter, Tele- und Heimarbeiterinnen sowie Auszubildende, die überwiegend für den Betrieb tätig sind,
- Beschäftigte in Mutterschutz oder Elternzeit und
- beurlaubte oder kranke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Auch Leiharbeitnehmer und -arbeitnehmerinnen können an der Betriebsratswahl teilnehmen. Sie dürfen zwar nicht selbst kandidieren, aber ihre Stimme abgeben, sobald sie länger als drei Monate im Betrieb sind. Gleiches gilt für von anderen Unternehmen überlassene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sobald die Drei-Monats-Frist abgelaufen ist. Nur Gesellschafter sowie leitende Angestellte sind generell von der Betriebsratswahl ausgeschlossen.
Mehr Beteiligungsrechte für Arbeitnehmervertretungen
Bei diesem Urnengang dürfte die Zahl der Wahlberechtigten sowie der Betriebsrat selbst in vielen Unternehmen größer sein als früher. Damit hat das herabgesetzte Wahlalter erhebliche Auswirkungen auf wichtige Beteiligungsrechte des Gremiums und ändert das Machtverhältnis zwischen Arbeitnehmervertretung und Unternehmensführung. Die Geschäftsleitung muss den Betriebsrat beispielsweise in bestimmten Personalfragen erst bei über 20 wahlberechtigten Beschäftigten einbeziehen. Sie hat dann vor jeder Einstellung, Versetzung und Einstufung in Gehaltsgruppen den Betriebsrat zu unterrichten und die Bewerbungsunterlagen vorzulegen. Auch über geplante Betriebsänderungen, die Nachteile für die Belegschaft mit sich bringen, muss die Geschäftsleitung erst ab dieser Unternehmensgröße umfassend informieren – und sich mit dem Betriebsrat besprechen. Viele Arbeitnehmervertretungen dürften nach dieser Betriebsratswahl mehr Mitspracherechte haben, weil nun die Auszubildenden mitzählen. Besonders beim Thema Einstellungen und Kündigungen könnten Betriebsräte sich Gehör verschaffen. Das in dieser Betriebsratswahl bestätigte Gremium kann auf Augenhöhe mit der Unternehmensführung verhandeln. Bei folgenden Themen sitzt der Betriebsrat fast immer mit am Tisch:
- Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzgestaltung, Unfallverhütung, Arbeits- und Umweltschutz
- Betriebliche Arbeitszeit und -organisation sowie Pausenregelung und Arbeitszeiterfassung oder auch Urlaubsplanung
- Mehrarbeit in Form von Überstunden oder weniger Arbeit durch die Einführung von Kurzarbeit
- Einsatz von Leiharbeitern und Werksvertragsfirmen
- Personalplanung, Einstellungen sowie Versetzungen
- Ein- und Umgruppierung von Beschäftigten in Gehaltsklassen, Ausgestaltung von Leistungszulagen und Prämien
- Einführung von Homeoffice
- Aus- und Weiterbildung
- Aufstellung von Grundsätzen zur Mitarbeiterbeurteilung
- Kündigungen jeder Art: verhaltensbedingt, wegen Krankheit oder aus betrieblichen Gründen
- Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung, Verhandeln von Sozialplänen
- Gleichstellung von Frauen und Männern
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf
- Integration ausländischer oder behinderter Beschäftigter
- Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Wiedereingliederung
- Mitarbeiterüberwachung durch Kameras und andere technische Einrichtungen
Notwendige Vorbereitungen für die Betriebsratswahl
Unternehmen, die bereits eine Arbeitnehmervertretung haben, kennen das Prozedere und den Ablauf einer Betriebsratswahl. Der noch amtierende Betriebsrat, der Gesamtbetriebsrat oder – bei Streitigkeiten – das Arbeitsgericht bestellt den Wahlvorstand, der die Betriebsratswahl vorbereitet. Dieser Wahlvorstand erstellt eine nach Geschlechtern getrennte Liste der Wahlberechtigten und sorgt dafür, dass die Betriebsratssitze ausgeglichen verteilt werden. Die hierfür erforderlichen Informationen muss die Personalabteilung zur Verfügung stellen. Steht die Wählerliste zur Betriebsratswahl, ist das Wahlausschreiben gut sichtbar in der Firma sowie allen Betriebsstätten auszuhängen. Alle Abwesenden, beispielsweise Beschäftigte im Außendienst sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflege- oder Elternzeit, muss der Wahlvorstand per Post oder E-Mail benachrichtigen. Der Aushang der fristgemäß eingegangen, gültigen Wahlvorschläge erfolgt am Schwarzen Brett. Zusätzlich lässt sich das Intranet nutzen, um die Belegschaft über Zeit, Ort und Ablauf der Betriebsratswahl zu informieren.
Diese Neuregelungen gelten für den anstehenden Urnengang
Trotz Pandemie und vieler Beschäftigter im Homeoffice gibt es keinen digitalen Urnengang. Die Betriebsratswahl findet analog statt: Stimmzettel müssen gefaltet in die Urne geworfen werden. Wahlumschläge sind allerdings nicht mehr vorgeschrieben. Auch die anschließende Auszählung der Stimmen und Bekanntgabe des Wahlergebnisses muss im Betrieb stattfinden. Hier die wichtigsten Änderungen für die anstehende turnusgemäße Betriebsratswahl:
- Beschäftigte ab dem vollendeten 16. Lebensjahr sind wahlberechtigt.
- In Unternehmen mit bis zu 20 wahlberechtigten Beschäftigten sind keine Stützunterschriften für Kandidatinnen und Kandidaten zur Betriebsratswahl mehr erforderlich.
- In Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten brauchen Kandidatinnen und Kandidaten nur noch zwei Unterschriften.
- Das vereinfachte Wahlverfahren gilt für Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten.
- Wird gegen die Wählerliste kein Einspruch eingelegt, ist eine Betriebsratswahl nicht mehr anfechtbar.
- Der besondere Kündigungsschutz umfasst nicht mehr nur Betriebsräte, Mitglieder des Wahlvorstands sowie alle, die zur Wahl antreten. Auch bis zu sechs Beschäftigte, die helfen, eine Betriebsratsgründung vorzubereiten, sind vor Entlassung geschützt.
- Sitzungen des Wahlvorstands sowie Betriebsratssitzungen dürfen per Video- oder Telefonkonferenz stattfinden.
- Beschäftigten, die am Tag der Betriebsratswahl voraussichtlich nicht im Unternehmen sein werden, sind Briefwahlunterlagen zuzusenden.
- Die hierfür notwendigen Informationen muss das Unternehmen dem Wahlvorstand aushändigen.
- Korrekturen der Wählerlisten sind bis zum Abschluss der Stimmabgabe am Wahltag möglich.
Behinderung einer Betriebsratswahl wird stärker geahndet
Trotz ihrer langer Tradition ist die betriebliche Mitbestimmung keine Selbstverständlichkeit. Eine Betriebsratswahl ist zwar schon in Kleinbetrieben mit fünf Beschäftigten möglich, doch in der Praxis tut sich wenig. Kleine und mittlere Unternehmen haben oft keine Arbeitnehmervertretung. Damit sich dies ändert, wurde der Kündigungsschutz für Beschäftigte erweitert, die eine Betriebsratswahl vorbereiten. Auch gegen Schikanen und Behinderungen von Arbeitgeberseite will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil härter vorgehen. Dies ist zwar schon heute verboten: Es drohen Geld- sowie Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr. Doch laut Heil häufen sich Versuche von Firmeninhabern und -inhaberinnen, Betriebsratswahlen zu beeinflussen oder zu unterbinden. Er plant eine Verschärfung des Strafrechts: Die Justiz soll künftig von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen, sobald ein begründeter Verdacht vorliegt. Bisher bedarf es dafür einer Anzeige. Unternehmerinnen und Unternehmer kooperieren also besser mit dem Betriebsrat, statt ihn zu bekämpfen. Zumal eine Betriebsratswahl auch Chancen bietet: Firmen mit Arbeitnehmervertretung sind häufig produktiver, die Belegschaft ist treuer.