Hätte, hätte, Fahrradkette – hätte sich alles entwickelt wie irgendwann mal zwischen den Spitzen von EU und britischer Regierung besprochen, würde die größte Insel der Nordsee sich nächsten Freitag aus der wirtschaftlichen und politischen Union mit einem Großteil des europäischen Kontinents verabschieden. Inzwischen wagt im Brexit-Drama keiner eine Vorhersage, was morgen passiert. Im Januar kursierte die Angst vor einem harten Brexit ohne Austrittsabkommen. Dann wäre es vorbei gewesen mit allen Vorteilen der „Vier Freiheiten“ innerhalb der EU, von denen Unternehmen profitieren – dem freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Stattdessen Zölle sowie Papierkrieg in Form von Import- und Exportbescheinigungen oder Visa für die Grenzüberquerung. Nun dreht sich die Diskussion darum, ob der Brexit später kommt. Die britische Premierministerin Theresa May hat eine Verschiebung bis Ende Juni erbeten. Die EU bietet den 12. April, 22. Mai oder irgendwann viel später an. Die Unsicherheit wird mit jeder Diskussion und Abstimmung größer.
Folgen des Brexit für die Wirtschaft dürften enorm sein
Sicherheit besteht dagegen bei der Frage, welche Folgen der Brexit für die Wirtschaft hat. Eine neue Studie zeigt, dass ein harter Brexit die Einkommen in Deutschland um zehn Milliarden Euro jährlich sinken lassen würde. 100.000 Arbeitsplätze wären in Gefahr. Leiden dürfte vor allem, aber nicht nur die Automobilindustrie. Auch andere EU-Staaten und Großbritannien würde ein ungeregelter Austritt massiv belasten. Nicht ausschließlich in Zahlen fassen lässt sich die organisatorische und psychologische Belastung durch die anhaltende Unsicherheit vor allem für Mittelständler. Kleinere Betriebe können sich weder große Planungsstäbe noch teure internationale Consultingfirmen leisten, um sich auf den Brexit vorzubereiten. Hier arbeitet und szenariomanagt der Firmenchef selbst, unterstützt nur vom Steuerberater und vom Anwalt. Solche Unternehmen haben teilweise überlegt, sehr kurzfristig auf die aktuelle Entwicklung zu reagieren, um keine Ressourcen zu verschwenden. Aber selbst diese Strategie stößt angesichts des Brexit-Chaos nun an ihre Grenzen. Dann ist guter Rat teuer
Sorgen macht mir, dass sich viele Unternehmenskunden bisher nur unzureichend mit den Folgen des Brexits für ihre Finanzgeschäfte beschäftigt haben.
Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling
Viele Unternehmen sind auf den Brexit nicht vorbereitet
Ein Gutes allerdings hat das Brexit-Chaos: Die umfassende Berichterstattung sollte auch dem letzten Firmenchef endlich klar gemacht haben, wie weitreichend die Folgen des EU-Austritts Großbritanniens für die Wirtschaft sein werden. Viele schienen nämlich bislang den Ernst der Lage nicht erkannt zu haben – unabhängig davon, ob es zu einem harten oder einem geregelten Brexit kommt. Die Bundesbank, so eine aktuelle Meldung, hält die Brexit-Vorbereitungen zahlreicher deutscher Unternehmen weiter für lückenhaft. Während die Kreditinstitute selbst gut gerüstet seien, gebe es bei den Firmen hohen Nachholbedarf in Finanzangelegenheiten. „Sorgen macht mir, dass sich viele Unternehmenskunden bisher nur unzureichend mit den Folgen des Brexits für ihre Finanzgeschäfte beschäftigt haben“, wird Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling zitiert. So wären beispielsweise noch viele Vertragsanpassungen erforderlich, damit die laufende Zusammenarbeit reibungslos weitergehen kann.
Jetzt noch eine Last-Minute-Brexit-Strategie erstellen
Wird der Brexit verschoben, ist das eine gute Nachricht für Firmenchefs, die bisher bei den Vorbereitungen geschlampt haben. Sie sollten den Spielraum nutzen, um mit Anwalt und Steuerberater zu besprechen, wo ihr Betrieb direkt oder indirekt betroffen ist und wei sich Probleme vermeiden lassen. Die deutsche Politik hat schon vorgelegt und in verschiedenen Bereichen für relative Rechtssicherheit gesorgt. Aber viele Probleme kann nur der Firmenchefs lösen. Wer sein Unternehmen als Ltd. nach britischem Recht führt, muss in eine deutsche Rechtsform umfirmieren. Wer für seine Webseite eine in Großbritannien registrierte Domain mit der Endung .eu nutzt, muss eine Adresse in der EU hinterlegen. A1-Bescheinigungen für den Auslandseinsatz von Mitarbeitern gibt es für Einsätze in Großbritannien nach dem 29. März eigentlich nicht. Hier sollte mit der Sozialversicherung das weitere Vorgehen geklärt werden. Großbritannien reagiert eigenwillig und schafft für den Fall eines harten Brexit eine Koordinationszentrale in einem atombombensicheren Bunker.