Bei der Umsatzsteuer läuft einiges anders als bei der Einkommensteuer. Gerade Jungunternehmer sind oft überrascht, wenn sie erfahren, dass sie dem Fiskus bereits Geld überweisen müssen, bevor eine Rechnung beglichen worden ist. Diese Pflicht ergibt sich aus dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall, der so genannten Sollbesteuerung. Aufgrund der Sollbesteuerung ist die Umsatzsteuer bereits für den Monat beziehungsweise das Quartal fällig, in dem der Unternehmer die Rechnung ausgestellt hat. Eingeräumte Zahlungsziele spielen keine Rolle.
Das Finanzamt verlangt die Steuer also auf Basis der vereinbarten Entgelte, nicht auf Basis der tatsächlichen Zahlungseingänge auf dem Konto. Für Unternehmer bedeutet dies: Sie finanzieren dem Fiskus bei der gesetzlich vorgeschriebenen Sollbesteuerung die Umsatzsteuer vor – auf Kosten der eigenen Liquidität. Bei oft gezwungenermaßen großzügigen Zahlungszielen etwa im Geschäft mit Konzernen durchaus über längere Zeit hinweg.
Sollbesteuerung schwächt die Liquidität
Vermeiden lässt sich diese Belastung nur durch einen Antrag auf Istbesteuerung. Dann fällt die Umsatzsteuer erst an, nachdem das Geld dem Konto gutgeschrieben worden ist. Wer noch keinen Antrag gestellt hat beziehungsweise unsicher ist, ob er dafür die Voraussetzungen erfüllt, sollte dies rasch mit dem Steuerberater besprechen. Denn die Umstellung von der Sollbesteuerung auf die Istbesteuerung kann die Liquidität erheblich stärken.
Durchwinken dürfte das Finanzamt den Antrag, sofern Unternehmer nur zur Einnahmen-Überschussrechnung verpflichtet sind. Oder ein bilanzierendes Unternehmen einen Vorjahresumsatz von bis zu 500.000 Euro ausweist. Freiberufler haben ebenfalls gute Chancen auf Istbesteuerung – solange sie nicht freiwillig bilanzieren. Schlechte Nachricht für bilanzierende Gründer mit gleich zu Beginn guten Umsätzen: Bei ihnen rechnet der Fiskus den Vorjahresumsatz auf zwölf Monate hoch. Er lehnt also womöglich bereits bei niedrigeren Umsätzen als 500.000 Euro den Antrag auf Istbesteuerung ab, wenn die Umsätze auf zwölf Monate hochgerechnet die Grenze übersteigen würden.
Bundesfinanzhof hat Zweifel an Sollbesteuerung
Ist der Antrag auf Istbesteuerung durch, müssen Unternehmer also – im Gegensatz zur Sollbesteuerung – keine Vorleistungen für noch nicht vereinnahmte Umsatzsteuern erbringen. Das erhöht sehr direkt ihre Liquidität. Wer die Sollbesteuerung dagegen nach derzeitiger Rechtslage nicht umgehen kann, für den ist sie oft eine immense Belastung. Das erkennt offenbar allmählich auch der Bundesfinanzhof (BFH) an. Die obersten Finanzrichter zweifelten 2017 in gleich zwei Fällen an, dass es nach EU-Rechtslage in Ordnung geht, dass zur Sollbesteuerung verpflichtete Unternehmer die Umsatzsteuer vorfinanzieren. Zwar entspricht die Sichtweise der in den Fällen vor dem BFH unterlegenen Finanzämter einer jahrzehntelang auch vom BFH bestätigten Besteuerungspraxis. Die BFH-Richter forderten den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nun jedoch auf zu prüfen, ob diese Besteuerungspraxis mit den EU-Vorgaben für das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vereinbar ist.
EuGH überprüft die Sollbesteuerung
Ob die Sollbesteuerung den EU-Vorgaben genügt, soll also nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) prüfen. Mit etwas Glück für Unternehmer gibt es also womöglich bald neue Regeln für die Istbesteuerung. Schließlich soll die Umsatzsteuer für Unternehmer grundsätzlich belastungsneutral sein und nur Endverbraucher belasten – so lernen es Studenten über die Systematik des Steuerrechts. Doch gerade für Unternehmer, die Kunden lange Rechnungslaufzeiten oder auch Ratenzahlungen gewähren, ist die Belastung im Lauf der Zeit enorm. Der EuGH ist für Unternehmer die derzeit einzige Hoffnung auf eine baldige Erleichterung in Sachen Sollbesteuerung. Eine zuvor dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht angenommen. Vom Steuerberater erfahren Unternehmer, wie es in dem Fall weitergeht. Das Aktenzeichen des anhängigen EuGH-Verfahrens lautet: EuGH C-548/17.