Nichts bleibt wie es war: Großbritannien ist für die EU – und damit auch für Deutschland – seit Jahresbeginn Drittstaat. Mit allen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen, gerade für den deutschen Mittelstand. Eines bleibt jedoch erhalten: die nun schon fast zur Gewohnheit gewordene Debatte mit dem Vereinigten Königreich darüber, wie es miteinander (oder ohne einander) weitergehen soll. Das zeigt beispielsweise der aktuelle Konflikt über das Nordirland-Protokoll. Der Umgang mit einer möglichen Außengrenze, die den EU-Staat Irland und Nordirland als Teil von Großbritannien voneinander trennt, war bereits während der Brexit-Verhandlungen einer der großen Streitpunkte. Gelöst nur mithilfe eines vorübergehenden Konstrukts, das dafür sorgte, dass für Nordirland zumindest befristet die Regeln von Binnenmarkt und Zollunion weitergelten – eine Vereinbarung, die vor allem deswegen getroffen wurde, um alte Konflikte zwischen Nordirland und Irland zu vermeiden. Dass die Wirtschaft mit dieser neuen Zollgrenze nicht zurechtkommt, ist nur ein Beispiel dafür, wie schwierig der Übergang nicht nur auf politischer, sondern vor allem auf wirtschaftlicher Ebene ist.
Der Verhandlungsmarathon, der den Ausstiegsvertrag zum Ergebnis hatte, war am Ende womöglich doch zu überhastet zusammengeschustert. Hintergrund: Die Drohkulisse des No-Deal-Brexits, die es für Unternehmen diesseits wie jenseits des Kanals noch viel schwieriger gestaltet hätte, miteinander geschäftlich in Verbindung zu bleiben. Ein harter Bruch sollte vermieden werden. Nun aber zeigen sich bereits die ersten negativen Folgen für die Wirtschaft. Der Bundesverband der Deutschen Industrie beklagt erhebliche Störungen im Warentransport, zusätzliche Bürokratie und unnötige Grenzformalitäten. Obwohl sich deutsche Unternehmen gut vorbereitet hätten, treffe der Brexit sie jetzt mit aller Härte.
Die Corona-Pandemie ist dabei nur ein Faktor. Im Gegenteil: Experten gehen davon aus, dass die Pandemie das tatsächliche Ausmaß der Brexit-Folgen noch überlagert – und wir womöglich erst mit Verspätung wahrnehmen, welche Auswirkungen der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wirklich mit sich bringt. Zudem muss das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien noch vom EU-Parlament ratifiziert werden, das sich bereits eine Verlängerung der Frist erbeten hat.
Der Beratungsbedarf deutscher Unternehmen in puncto Brexit ist ebenfalls enorm gestiegen. Denn Großbritannien ist nicht mehr an unionsrechtliche Regelungen, beispielsweise bei den Mehrwertsteuerrichtlinien, gebunden. Es wird dauerhaft zu Grenzkontrollen beim Warenverkehr kommen, Waren müssen angemeldet, Umsatzsteuer- und Zollerklärungen ausgefüllt werden. Ob sich Unternehmen und Verwaltung tatsächlich mit der Zeit an die neuen Vorgaben und die zum Teil politisch ausdrücklich gewollten Änderungen anpassen, ist fraglich. Sicher ist eines: Der Brexit wird dafür sorgen, dass wir in der Europäischen Union an vielen Stellen noch enger zusammenrücken müssen. Großbritannien ist nun wieder für sich – aber ohne den Rest von Europa wird es wohl nicht gehen.